Grenoble Quartiers

Grenoble Quartiers (Quelle)

Héloïse hat sich den Tag heut freigenommen, um mir in meiner bisher aussichtslosen Lage weiterzuhelfen. Auf dem Plan stehen dabei die massive Suche nach einer Unterkunft auf der einen und das Zeigen der Innenstadt auf der anderen Seite. Auf jeden Fall sollte heute, wie alle Tage zuvor meine letze Nacht im Hostel gewesen sein.

Wir trafen uns im Zentrum von Grenoble, da ich noch zum Place Victor Hugo musste um einen Banktermin wahrzunehmen. Ich brauchte ein französisches Bankkonto, um nicht dauernd Bargeld mit mir rumtragen zu müssen, was ich zwar mit meiner Deutsche-Bank-Karte kostenlos bei der BNP Paribas abheben konnte, aber dennoch war es gefährlich und umständlich. Leider wurde daraus nach einigem Warten nichts, weil ich keinen Wohnsitz in Grenoble nachweisen konnte. So viel zu dem Thema...

Danach erstmal in einen Mobilfunkladen - ich entschied mich für den Netzbetreiber Orange, der zwar nicht der günstigste, jedoch der mit der besten Netzabdeckung sein sollte. Auch hier das gleiche Spiel: Ohne Wohnsitz keine Mobiltelefonkarte, aber ich brauchte diese Karte um meinen Wohnsitz zu bekommen. Zum Glück ließ sich der Verkäufer überreden, die Anschrift von Héloïse dort einzutragen und ich bekam eine französische Nummer - zumindest ein kleiner Zwischenerfolg, der da zu feiern war.

Danach ging eine aufregende Telefonaktion los. Wie schon gestern führte mich der Weg zum ADIIJ, Pôle Jeunesse, diesmal mit einheimischer Verstärkung und französischer Telefon-Nummer. Wir knöpften uns die Schwarzen Bretter vor und telefonierten stundenlang gefühlte 90% der Nummern durch - zugegeben, ich war nicht böse drüber Telefongespräche an sie weiterzugeben. ;) Dadurch, dass ich scheinbar der einzige war, der die Zettel auch von der Wand nahm, wenn das Angebot bereits vergriffen war, lichteten sich die Möglichkeiten auch ruck zuck aus. Bei einigen Angeboten wurde ich auf einen Besichtigungstermin in den kommenden Tagen vertröstet, bei anderen ging teilweise auch wie gewohnt keiner ran. So blieben für den Tag 2 Angebote übrig, wobei ein Termin während der Zeit des Coloc Speed Datings im Subway lag.

Zuerst gingen wir zu einer Wohnung, die im Quartier (dt.: Stadtviertel) Bajatière lag, ein Bezirk, der eine Mischung aus Betongrau und Einfamilienhausgrün ist. Es empfing uns ein älterer Herr, was mich erstmal überraschte. Später erfuhr ich, dass es in Frankreich kaum WGs wie in Deutschland gibt, wo der Hauptmieter auch mit in der WG wohnt. Durch den großen Studentenanteil in Grenoble hat sich auch geradezu ein darauf angepasster Markt etabliert: Leute, die sich etwas angespart haben, kaufen sich eine Eigentumswohnung in der Stadt, um sie dann an Studenten-Wohngemeinschaften unterzuvermieten. Das rechnet sich mehr, als die gesamte Wohnung zur Verfügung zu stellen. Die Wohnung wurde scheinbar schonmal als WG genutzt, wie ich im Gespräch erfuhr, aber bisher gibt es noch keine feste Zusage für den Beginn dieses akademischen Jahres. Da der Mann recht passabel deutsch sprechen konnte (wie ich erfuhr hat er im Deutsch-Französischen-Grenzbereich ein Deutsch-Französisches Studium de Physik abgeschlossen), war glücklicherweise die Kommunikationsbarriere zwischen uns nicht allzu hoch. Es gab 4 Zimmer, die sich in der Größe, Lage und Einrichtung teilweise stark unterschieden und einen Abstellkellerraum mit einer Rampe, wo man mit viel Mühe mein Motorrad im Winter unterstellen könnte - sollte das nicht der Fall sein, bot er mir an, sie in seiner Garage ein paar Kilometer außerhalb von Grenoble zu lassen. Nach meinem Pech der letzten Tage war ich so überwältigt, dass ich am liebsten sofort dageblieben wäre - ein Zuhause war zum Greifen nahe. Als ich nocheinmal durch die Wohnung ging und mit die Vor- und Nachteile der Zimmer gegen ihren Preis abwog, bekam der Vermieter einen Anruf und in Vertretung für 3 Leute eine Zusage. Die 3 besten Zimmer waren damit weg und die herbe Enttäuschung war mir sichtlich anzumerken, sodass er mir anbot das Zimmer zu reservieren und ich sollte mir nochmal andere Möglichkeiten ansehen, bevor ich zusage. Das war wirklich fair und gut überlegt von ihm - er führte nämlich auch an, dass ich immer einen mehr oder weniger kleinen Groll über das so knapp verpasste Zimmer meiner eigentlichen Wahl in mir haben würde, was sich auch auf ein WG-Klima auswirken kann. Die Zusagen kamen von einem bunt gemischten Haufen: Ein Franzose, eine US-Amerikanerin, eine Australierin.

Wieder auf der Straße und etwas beruhigt, stand ich nun vor der Frage zum Coloc Speed Dating zu gehen oder zu einer anderen Wohnung. Ich entschied mich klar für die Wohnung, da es in der momentanen Situation vermutlich mehr Nachfragen als Angebote gab und die Wahrscheinlichkeit hoch war, in der Bar eher viele Leute zu treffen, die mit einem eine Colocation aufmachen wollten.

Die nächste Wohnung lag im Quartier Eaux Claires und war eine Colocation für 3 Personen, wovon eine bereits eingezogen war und die andere ein Zimmer vorreserviert hatte. Es handelte sich um zwei französisch-sprachige Mädels, bei denen sich die Eigentümerin vorher nochmal telefonisch erkundigte, ob sie mit einem deutschen Garçon zusammenleben wollen würden. Nach dieser ersten geschafften Hürde sah ich mir die Wohnung nun also an und fand eine freundliche Bewohnerin vor.

Nachtrag: Als kleine Anekdote gibt es an dieser Stelle vielleicht noch zu erwähnen, dass ich nach meinem ersten Gespräch mit ihr davon ausgegangen bin, dass sie aus der französischen Schweiz kommt. Später stellte sich jedoch heraus, dass sie aus der Mont-Blanc-Region "in der Nähe" der schweizer Grenze kommt. ;)

Da die einzelnen Zimmer verschlossen waren, was ich bisher in keiner deutschen WG gesehen habe, mussten wir auf die Ankunft der Vermieterin warten, die noch unterwegs war. Die Wohnung, in der die Mutter der Vermieterin vorher gewohnt hat, war gerade frisch renoviert worden und schwankte im Einrichtungsstil zwischen alten und modernen Gegenständen, was ich grundsätzlich gar nicht mal übel fand. Einschließlich Sanitäreinrichtungen war alles in einen sehr angenehmen Wohnzustand versetzt und es gab im Gegensatz zur vorherigen Wohnung eine Waschmaschine, was mir den Weg in die Laverie (dt.: Wasch-Salon) ersparen würde. Natürlich war das Zimmer, welches ich von den beiden freien vorgezogen hätte, reserviert, aber da sie alle zur gleichen Seite greichtet waren, die gleiche größe hatten und sich nur vom Anstrich und der Einrichtung etwas unterschieden war das nicht so gravierend. Riesiger Nachteil hier: Es gab im Gegensatz zur vorherigen Wohnung kein Internetanschluss, könnte aber mittelfristig beschafft werden. Dafür gab es einen großen Fahrradschuppen hinter dem Haus, in dem auch locker mein Motorrad im Alltag Platz fand - es müsste also nie draußen stehen. Übrigens stellte sich auch hier ein deutscher Bezug heraus, da die Vermieterin Deutsche war, die im Kindesalter mit ihren Eltern nach Frankreich gezogen ist. Kommunikation war also glücklicherweise auch hier ein angenehme Sache und ein wenig amüsiert hat es mich, dass man deutlich einen sächsisch-französischen Akzent heraushören konnte.

Hin- und hergerissen verabschiedete ich mich also und setzte mich mit Héloïse auf eine Bank vor einer nahe gelegenen Kirche und wollte die Entscheidung nun noch einmal analytisch Revue passieren lassen - es sollte eine der beiden WGs sein, das stand für mich fest - bis zum Wochenende eine Unterkunft, welch Traum. Also Zettel, Stift und ran an eine Pro/Contra-Liste:

        Bajatière  Eaux
                  Claires
Lage        +        +    => Umfeld & Entfernung Zentrum ca. gleich
Zimmer      0        0    => keine großen Unterschiede
Moto        0        +    => Motorradunterstellplatz
WG-Wohnraum -        +    => nur kleine Wohnküche in Bajatière
Waschen     -        +    => angesprochene Waschmaschine
Bad         0        +    => älter vs. modernisiert
Balkon      0        +    => klein/grau vs. groß/verglast
Preis       0        +    => 335 vs. 300
Internet    +        -
Bewohner    ?        +    => alle unbekannt vs. eine, die ich kannte
'langue'    0        +    => natürlich eher französische Sprachumwelt
#Bewohner   -(4)     +(3) => weniger Bewohner angenehmer (z.B. Bad)
Campusweg   +        -

Zum Campusweg ist noch zu sagen, dass der Unterschied geringfügig ist. Mit der Straßenbahn könnte es sich sogar umkehren, da von Eaux Claires die Ligne C direkt zum Campus durchfährt und ich nicht umsteigen müsste.

Ich entschied mich gemäß der Liste also klar für die zweite Option und wollte an diesem Abend noch die Schlüssel haben, um nicht im Hostel bleiben zu müssen. Der Vermieterin war das allerdings zu spät, da noch Papierkram erledigt werden müsste und so fand ich mich halbzufrieden damit ab und versuchte mich auf den Termin am nächsten Morgen um neun zu freuen. Glücklicherweise ist Pedro schon in sein Wohnheim eingezogen und ich konnte bei ihm übernachten - Sack und Pack also vom Hostel abgeholt und Schlafsack auf dem Boden ausgerollt, um eine letzte 'Biwak-Nacht' zu verbringen.

Gepaeckraum1

Meine Habe im Gepäckraum des Hostels

Orange Shop

'Mein' Mobilfunkladen mit Motorradstreife

Wohnungsangebot

Davon gab es hunderte an den Schwarzen Brettern

Gepaeckraum2

Spät am Abend bin ich einer der
letzten, die ihr Gepäck holen